Zwei Drittel der pflegebedürftigen Senioren werden zuhause gepflegt, meist von den Angehörigen. Sind sie gut ernährt und ausreichend versorgt? Eine aktuelle Studie dazu ist im Kapitel 2 des Ernährungsberichtes 2012 veröffentlicht. Prof. Dr. Dorothee Volkert, eine der Studienautorinnen, fasste beim Journalistenseminar der DGE am 30. Januar in Bonn die wichtigsten Ergebnisse zusammen. Hier meine komprimierte Version mit einem kurzen Überblick, 5 Aussagen und einigen Empfehlungen.
Ernährungsbericht 2012
Kapitel 2 Ernährungssituation pflegebedürftiger Senioren in Privathaushalten
Vortrag von Prof. Dr. Dorothee Volkert, Uni Erlangen-Nürnberg
Seniorenernährung in den Ernährungsberichten
Ernährungsbericht 2000: Studie „Ernährung ab 65“ berichtet über selbstständig im Privathaushalt lebende Senioren. Fazit: Ernährungssituation ähnlich der junger Erwachsener, also insgesamt unkritisch.
Ernährungsbericht 2008: ErnSTES-Studie zur Ernährung von Senioren in stationären Einrichtungen. Fazit: Ernährungsprobleme weit verbreitet, 11 % Mangelernährung, 48 % Risiko für Mangelernährung, Zufuhr verschiedener Vitamine und Mineralstoffe deutlich unter den Empfehlungen.
Der aktuelle Ernährungsbericht 2012 untersucht mit der ErnSiPP-Studie die Ernährung pflegebedürftiger Senioren in Privathaushalten. Die Studie mit 353 Teilnehmern (64 % Frauen und 36 % Männer) wurde durchgeführt von den Universitäten Bonn, Paderborn und Erlangen-Nürnberg.
1. Zwei Drittel der Pflegebedürftigen zuhause versorgt, meist durch Angehörige
16,9 Mio. Menschen in Deutschland sind 65 Jahre oder älter.
2,34 Mio. Menschen waren 2009 pflegebedürftig.
Zwei Drittel der Pflegebedürftigen werden im Privathaushalt gepflegt. Dabei übernehmen Angehörige bei zwei Dritteln die Pflege alleine. Das andere Drittel wird teilweise oder vollständig durch einen ambulanten Pflegedienst gepflegt.
2. Meist mehrere Erkrankungen, Hälfte in Pflegestufe 1
In der ErnSiPP-Studie hatten die pflegebedürftigen Teilnehmer im Durchschnitt fünf verschiedene Erkrankungen, davon mindestens eine chronische Krankheit. Es überwogen Herz-Kreislauf-Erkrankungen (86 %), Gelenkerkrankungen (54 %) und Stoffwechselstörungen (47 %). 59 % waren in Pflegestufe 1 eingruppiert, 30 % in Pflegestufe 2 und 11 % in Pflegestufe 3.
3. Probleme beim Essen, häufig Unterstützung erforderlich
Knapp die Hälfte der teilnehmenden Pflegebedürftigen (45 %) waren beim Essen auf Unterstützung angewiesen, z. B. beim Kleinschneiden von Lebensmitteln oder Öffnen von Getränken. Etwa die Hälfte klagte über Kaubeschwerden, Mundtrockenheit und nachlassendes Durstgefühl. Häufig waren auch Schluckbeschwerden und eingeschränkter Appetit.
4. Ernährung: zu wenig Gemüse, zu wenig Ballaststoffe, zu wenig Vitamin D
Die Erhebung durch ein Mini Nutritional Assessment (MNA) ergab bei 29 % der Teilnehmer einen normalen Ernährungszustand, bei 13 % eine Mangelernährung und bei mehr als der Hälfte (57 %) ein Risiko für Mangelernährung.
Im Mittel lag die Trinkmenge etwa im Bereich der Empfehlungen, die Eiweißzufuhr etwas über den Empfehlungen. Die Schwankungsbreite war jedoch recht groß, so dass einige Senioren über- andere unterversorgt waren.
Generell aßen auch die Senioren zu viel Fleisch und Wurst, aber deutlich zu wenig Obst und Gemüse. Kaum einer erreichte die empfohlene Menge an Ballaststoffen.
Besonders auffällig war der Mangel an Vitamin D. Wie in der restlichen Bevölkerung fehlte es an Folsäure, auch Calcium und Vitamin E wurden etwas zu wenig aufgenommen. Zudem war bei den teilnehmenden Frauen die Versorung mit den Vitaminen B1 und C etwas kritisch.
5. Gewicht: Verlauf wichtiger als der BMI
Trotz des hohen Risikos für Mangelernährung hatten nur 4 – 5 % der Pflegebedürftigen Untergewicht (BMI < 20). Ein Drittel war dagegen stark übergewichtig (BMI > 30). Bei 12 % lag der BMI sogar über 35 – ein schwerwiegendes Problem auch für die Pflegenden.
Mit zunehmender Pflegestufe nimmt der BMI ab. Bei den Frauen sinkt er auch mit dem Alter. Und bei Dementen ist der BMI deutlich niedriger.
Statistiken zeigen, dass Ältere mit einem BMI von 26 – 28 das niedrigste Sterbe-Risiko aufweisen. Das Risiko für Behinderungen ist dagegen am geringsten bei einem BMI von 22 – 24.
Generell ist der absolute BMI jedoch weniger entscheidend als der Gewichtsverlauf. Denn ein starker Gewichtsverlust weist auf gesundheitliche Verschlechterungen hin. Zudem bedeutet Gewichtsverlust im Alter meist einen Abbau der Muskelmasse.
Empfehlungen für die Ernährung von Senioren
- abwechslungsreiche am Bedarf orientierte Ernährung
- bedürfnisgerecht zubereitet: appetitlich, schmackhaft, weiche Konsistenz
- Lebensmittel mit hoher Nährstoffdichte (viele Nährstoffe, wenig Energie)
- mehr Obst und Gemüse, Kartoffeln und Vollkorngetreide
- bei geringer Sonnenlicht-Exposition evtl. Vitamin D supplementieren
- Hemmnisse beim Essen, z.B. Kau- und Schluckbeschwerden frühzeitig erkennen und so weit möglich beseitigen
- Gewichtsverluste vermeiden
- ausreichende Trinkmenge gewährleisten
Empfehlungen zur Verbesserung der Gesamtsituation
- Mehr Informations- und Beratungsangebote für pflegende Angehörige
- Pflegekräfte und Hausärzte besser schulen in Seniorenernährung
- regelmäßiges Ernährungs-Screening und Gewichtskontrolle
- Lebensmittelindustrie: mehr hochwertige, nährstoffreiche und schmackhafte Gerichte anbieten, die leicht zu öffnen und zuzubereiten sind
- zusätzliche Dienstleistungen zur Unterstützung Pflegebedürftiger und Pflegender
Infos zur Ernährung pflegebebedürftiger Senioren liefert auch die DGE-Pressemeldung
Gute Ernährungsversorgung verbessert die Lebensqualität von Pflegebedürftigen
Weiter geht’s mit Kapitel 3 zur Qualität von Essen auf Rädern am nächsten Dienstag. Hier die bisherigen und noch folgenden Themen:
Kapitel 1 Ernährungs- und Gesundheitstrends in Deutschland
(Dipl. oec. trop. Angela Bechthold, DGE)
Kapitel 1.7 Übergewicht und Adipositas in Deutschland
(Dr. Gert Mensink, RKI)
Kapitel 3 Essen auf Rädern: Wie gut sind Qualität und Kundenzufriedenheit?
(Prof. Ulrike Arens-Azevedo, HAW Hamburg)
Kapitel 4 Lebensmittelsicherheit
(Prof. Dr. Dr. Alfonso Lampen, BfR)
Kapitel 5 Prävention von Krebskrankheiten durch Ernährung
(Prof. Dr. Heiner Boeing, DiFE)
Ulrike Grohmann meint
Liebe Corinna, hervorragender Überblick! Besten Dank für die Zusammenfassung der Ergebnisse. Es war längst überfällig, mehr Aufmerksamkeit auf diese Personengruppe zu lenken.
Viele Grüße
Ulrike